Flaniergeschichte #1

Aus dem Archiv des Nordkuriers, 14.06.2033

Go with the flow!

Neuer Wasserrundweg auf Strelitzienfest eingeweiht • „Wasser-Butteln“ ehren prägenden Architekten zum 300. Jubiläum

Neustrelitz, 14.06.2033. Stadtführungen gibt es viele – und meistens richten sich ihre Routen nach historischen, von Menschenhand errichteten Gebäuden und Denkmälern. Der Rundgang, der an diesem Wochenende auf dem Strelitzienfest anlässlich des 300. Geburtstags der Stadt eingeweiht wurde, ist anders: Da sich die Stadt Neustrelitz bereits im Jahre 2022 dazu entschieden hatte, die Prinzipien der Blue Community (eine weltweite Initiative, die sich für die Anerkennung von Wasser als Menschenrecht einsetzt) in das eigene Leitbild aufzunehmen, war es den Stadtvertreter*innen wichtig, zu diesem wichtigen Jubiläum ein besonderes Zeichen für ihr Bekenntnis zum nassen Element zu setzen.

Entstanden ist ein Rundweg, der den Verlauf aktueller und vergangener Wasserläufe durch die Stadt nachzeichnet – in klassisch analoger Form mit Infotafeln und Karten aus Papier, aber auch als App mit AR- und VR-Elementen, die das Unsichtbare (wieder) sichtbar machen. „Go with the flow!“ – dieser Name soll Programm sein und die Menschen dazu animieren, die „blauen Lebensadern ihrer Stadt“ oberirdisch wie unterirdisch kennenzulernen, erklärte Neustrelitz‘ Bürgermeisterin Lydia Lampkemeyer (32) bei der Auftaktveranstaltung am Glambecker See am Samstag. „Unsere Region ist vom Wasser geprägt und lebt mit dem Wasser. Nun können sich interessierte Bürger*innen endlich auch auf die Spuren des Wassers begeben!“

Wie das Wasser unsere Region formte

„Ohne die uralte Kraft des Wassers sähen Stadt und Region landschaftlich heute ganz anders aus“, stellte Gregor Morgenroth (62), der als ausgebildeter Land- und Naturführer aus der Region tief in den Gestaltungsprozess des Wasserrundwegs eingebunden war, in einem kurzen Vortrag zur geologischen Geschichte der Region klar. Millionen Jahre lang hatten große Eismassen die Erde bedeckt. Das Neustrelitzer Kleinseenland und die Mecklenburgische Seenplatte waren nach dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 12.000 Jahren entstanden. „Diese Eisriesen schoben zu ihren Füßen – gigantischen Baggern gleich – Schutt, Gestein, Sand und Lehm vor sich her und türmten sie auf“, veranschaulichte der gelernte Geologe den Prozess. „Endmoränen nennen wir diese wallartigen Aufschüttungen in der Wissenschaft.“

Morgenroth: „Als es wieder wärmer wurde, wandelten diese mächtigen Eisriesen ihre feste, kantige Form und verflüssigten sich zu den Myriaden an kleinen und mittelgroßen Seen, zu den Flüssen und Bächen, die die Mecklenburgische Seenplatte bis heute prägen.“

Ein doppeltes Geschenk

Neustrelitz wurde in diesem Zuge gleich mit zwei Seen beschenkt, die unterschiedlicher nicht hätten ausfallen können. Da wäre auf der einen Seite der Glambecker See, der zum Startpunkt des Wasserrundwegs auserkoren wurde. „Ein auf den ersten Blick unscheinbares, eher kleines Gewässer“, so Morgenroth. „Bis man tiefer blickt und erkennt, dass sich seine wahre Größe in seiner Tiefe widerspiegelt.“

Ganz anders der Zierker See, der Endpunkt des Wasserrundwegs, von einigen Bürger*innen der Stadt gern auch als ‚große Pfütze‘ abgetan. „Zugegeben, als tiefgründig können wir ihn mit seiner mittleren Tiefe von 1,60 Meter nun wirklich nicht bezeichnen“, gab Morgenroth zu bedenken. „Aber diese Weite! Und diese Sonnenuntergänge!“

Mit Staunen nahmen die Zuhörer*innen zur Kenntnis, dass das Wasser des Zierker Sees einst so hoch stand, dass heute die Hälfte der Seestraße überschwemmt wäre. „Ich könnte Papierschiffchen in meinem Kinderzimmer fahren lassen,“ kommentierte Metin (4) die Worte des Geologen sichtlich erfreut.

Buttel Up!

Freude brandetet ebenfalls auf, als Bürgermeisterin Lampkemeyer im Anschluss an Morgenroths Vortrag überraschend 300 „Wasser-Butteln“, speziell zum Gedenken an Friedrich Wilhelm Buttel (1796-1869) designte Trinkflaschen, an die anwesenden Gäste verteilen ließ.

Als Strelitzer Landesbaumeister hatte der Architekt Buttel mit seinen Entwürfen im 19. Jahrhundert das Neustrelitzer Stadtbild maßgeblich geprägt: Die Schlosskirche, die Orangerie, das Rathaus, der Turm der Stadtkirche, die Kaserne, der Kornspeicher und das Wäschespülhäuschen am Hafen – alle undenkbar ohne Buttel, der gotische und klassizistische Elementen kongenial miteinander zu verweben wusste.

Message in a Buttel

Das Buttels Stil aufnehmende Design der Trinkflasche wurde von einer Malerin aus Neustrelitz entworfen, die aber unbekannt bleiben möchte. „Alle Ehre gebührt zualleroberst Friedrich Wilhelm Buttel“ ließ sie über Bürgermeisterin Lampkemeyer verlauten, die sichtlich begeistert konstatierte: „Ein wahrer Hingucker und Must-have für wasserfreundliche Neustrelitzer:innen!“

Wer keine Wasser-Buttel bekommen hat, kann diese zum kleinen Preis an der Touristeninformation erwerben. Ein Drittel der Einnahmen geht in einen Spendentopf, aus dem weitere Vorhaben der Blue Community finanziert werden. Deren Sprecher, Alfons Aquarius (38) bedankte sich wortreich: Neustrelitz hat als Vorreiter für das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein klares Zeichen für den Schutz des Wassers gesetzt und verstanden, dass die Zukunft Hand in Hand und nur im Einklang mit der Natur zu denken und zu leben ist – und dass das Wasser dabei eine ganz wichtige und besondere Rolle spielt.“ Seitdem die Stadt Blue Community wurde, sei viel passiert – und doch befinde man sich gerade erst am Anfang.

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