Flaniergeschichte #5

STEINGRÜN
Ein augenzwinkerndes Umweltgedicht in 19 Strophen

Es war einmal im Seenland
dem Mecklenburgischen,
ein Marktplatz, allen wohlbekannt,
doch nicht schön anzuseh‘n.

Einst wuchsen hier der Bäume viel
und dicht und hoch und breit.
Doch schattig war‘s, so man entschied:
Weg mit der Dunkelheit!

„Tabula rasa!“ rief das Volk,
oder nur Volks Vertreter?
Egal, am Ende lag statt Holz
nur Pflastersteinemeter.

Ganze helle war der Marktplatz nun
und ordentlich und sauber.
Doch in dem ganzen Propertum
verlor er seinen Zauber.

Ein schattig Platz suchten die Leut‘
im Sommer nun vergeblich.
Die neu gepflanzten Eschlinge
gediehen hier nur kläglich.

Die Bänke blieben leer und kalt,
die Menschen ihnen fern.
Denn ohne Schatten, jung oder alt,
saß niemand dort so gern.

Nun lasst mal Klagen Klagen sein,
klagten die Architekten.
Seht in der Mitte, ist’s nicht fein,
was wir im Grund versteckten?

Fontäne nannte sich ganz groß
des Ortes Ideal,
doch plätschernd‘ Wasser hilft ja bloß
bei Hitze minimal.

Kein Platz für Spiele, kein Versteck,
kein Grün, das Leben spendet.
Und wo das Kind, das tobet keck?
Ein Paradies, verendet.

Idyllisch klingt, wenn man aufbot,
der Platz sei eine Insel.
Doch wo der Fährmann in der Not
im laut‘ Motorgewinsel?

Verkehrsberuhigung? Keine Spur!
Stattdessen eine breite.
Aus Volkes Mitte schallt der Schwur:
So geht es nicht mehr weiter!

Mit Mut und Kraft und Werkzeug schwer,
stemmten die Bürgersleut‘
die Pflastersteine aus dem Meer
der Grautrostlosigkeit.

So wurde Stein um Stein um Stein,
das Volk frisch aufgewiegelt,
mit einem kollektiven Nein
der Marktplatz frisch entsiegelt.

Zurück das Grün, zurück das Gras,
da war man sich schnell einig.
Ein Spielplatz, ja, der brächte Spaß!
und Fahrräder alleinig!

Doch wovon zahlen, die Ideen,
die prächtigen und guten,
trotz viel Entzücken wollt das Volk
nicht für den Marktplatz bluten.

Ich weiß es, rief die kluge Frau,
Lasst uns für Steine bieten!
Versteigern wir das kalte Grau,
Und nutzen die Meriten!

Der Hammer fiel: drei, zwei, eins, meins!
Es bot das ganze Land,
So wurd‘ der Marktplatz ohn‘ Gesteins
schnell allerorts bekannt.

Die Pflastersteine gingen weg
wie sonnenwarme Semmel.
Das Gelde floss zu diesem Zweck,
dank der Sponsorenengel!

So endet nun im Seenland,
dem Mecklenburgischen,
die Mär vom Marktplatz wohlbekannt
jetzt grünschön anzuseh’n.


Foto: Sowjetisches Ehrenmal von der Strelitzer Straße aus gesehen (1975) / Wikipedia

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