Flaniergeschichte #6

Feuchte Kehlen, gute Ideen
Wie ein ganz besonderer Stammtisch in Neustrelitz dem Wasser huldigt

Live-Reportage, NDR Nordmagazin | 21.07.2032 | 16:30 Uhr

Amira Meyer zu Uphöfen: Herzliche Willkommen, liebe Zuschauende, hier im Südzipfel Meckenburg-Vorpommerns. Mein Name ist Amira Meyer zu Uphöfen – und wenn Sie jetzt hinter mich schauen und sich fragen: „Macht die Uphöfen schon Feierabend?“, dann kann ich Sie beruhigen. Denn in der Kneipe hinter mir ist heute eine Gruppe versammelt, die sich voll und ganz einem ganz besonderem Element verschrieben hat. [augenzwinkernd] Und die Rede ist hier nicht vom Bier…

[Reporterin hält ein Glas Wasser in die Kamera, dreht sich dann zu einem länglichen Tisch vor der Kneipe im Hintergrund um, an dem mehrere Personen sitzen und prostet ihnen zu. Sie prosten zurück.]

Amira Meyer zu Uphöfen: In der Neustrelitzer Kneipe „Buttel voll“ wird nämlich schon seit geraume Zeit „Rohrperle“ ausgeschenkt. Bei diesem edlen Getränk handelt es schlicht und einfach um Leitungswasser, das je nach Wunsch mit mehr oder weniger Kohlensäure angereichert wird. Und das beste…

[Die Kamera fährt ein Stück zurück und wir sehen, dass neben der Reporterin ein weiterer Mensch steht, es ist: Rayan Wüsthoff, Pächterin der Kneipe „Buttel voll“.]

Rayan Wüsthoff: … niemand muss dafür zahlen!

Amira Meyer zu Uphöfen: Klingt nach einem ziemlich schlechten Geschäft für eine Kneipe, oder?

Rayan Wüsthoff: Ganz im Gegenteil, wir fanden das Prinzip, verstohlen nach einem Gratisglas Leitungswasser fragen zu müssen, einfach falsch und wollten die Leute aktiv ermuntern, auch mal zum „ZwiWa“ zu greifen. Denn viele Gäste trinken ja auch noch etwas anderes nebenbei…

Amira Meyer zu Uphöfen: Also muss man auf jeden Fall noch etwas anderes konsumieren?

Rayan Wüsthoff: Nein, das unterscheidet das „Buttel voll“ auch von anderen Kneipen. Sie können sich einfach hinsetzen und eine „Rohrperle“ aus der Karte bestellen. Für Nullkommanull Euro. Natürlich steht es jedem frei, für das Wasser eine Spende für die örtliche Blue Community zu hinterlassen…

Amira Meyer zu Uphöfen: Blue Community ist ein gutes Stichwort, denn damit sind wir auch gleich beim eigentlichen Thema der Reportage…

[Die Kamera schwenkt zu den Menschen am Tisch, mit denen sich die Reporterin zugeprostet hat.]

Amira Meyer zu Uphöfen: … denn heute begeht die Neustrelitzer Bürger*inneninitiantive ihren 10. Geburtstag. Um das gebührend zu feiern, wurde heute ein ganz besonderer Stammtisch ins Leben gerufen. Aber am besten lassen wir das Geburtstagskind selbst erzählen…

[Reporterin geht zum Tisch und setzt sich auf den einzigen, noch freien Platz, links neben Jason Meier, Mitglied der Blue Community Neustrelitz]

Amira Meyer zu Uphöfen: Links neben mir sitzt Jason Meier, Ortsmitglied der globalen Bürger*inneninitiative Blue Community. Jason, wer sitzt heute mit dir am Tisch und worum geht es heute hier beim Stammtisch?

Jason Meier: [lacht] Natürlich um das Wasser. Zum zehnjährigen Jubiläum hat die Stadt Neustrelitz Vertreter*innen aus allen europäischen Partnerstädten eingeladen, um sich gemeinsam zu diesem wichtigen Thema auszutauschen. Das wissen heute ja gar nicht mehr so viele: Die Idee der Partnerstädte wurde bereits nach dem Zweiten Weltkrieg geboren – als Zeichen des Friedens und der Versöhnung und um aufgerissene Wunden zu heilen. Wir wollen unsere Partnerstädte fragen: Wie geht ihr mit den Herausforderungen um, die sich hinsichtlich des Wassers in Zukunft stellen? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Wo kann man von- und miteinander lernen? Dabei sollen Dialog und Austausch im Vordergrund stehen. Neustrelitz hat nämlich erkannt, dass wir gemeinsam viel mehr erreichen können – durch einen möglichst breit gefächerten Austausch zwischen Kultur, Bildung und Wirtschaft. Ganz im Sinne des 5. Prinzips der Blue Community: „Internationale Vernetzung“. [hebt sein Glas] Darauf ein Prost!

[Die anderen am Tisch tun es ihm gleich und prosten ihm mit ihren Wassergläsern zu – in ihren jeweiligen Landessprachen: „À santé!“ (Französisch), „Prost!“ (Deutsch) „Na zdrowie!“ (Polnisch), „Kippis“ (Finnisch), „Skål“ (Dänisch)]

Amira Meyer zu Uphöfen: Und das soll ganz offensichtlich nicht hinter verschlossenen Türen geschehen…

Jason Meier: Nein, und möglichst nicht so steif und gezwungen, wie es sonst leider so oft bei solchen Treffen zugeht. Deswegen sitzen wir hier mitten in der Fußgängerzone vor dem „Buttel voll“. Aber… am besten stellen sich alle einmal selbst vor.

Olga Lewandowski [stets mit leichtem Akzent]: Ich bin Olga aus Szczecinek, das liegt in Polen.

Fritz Sauter [witzelnd]: Auf mich können Sie bauen – ich komme nämlich aus Schwäbisch Hall im schönen Baden-Württemberg.

Rauni Korhonen: My name is Rauna, and I’m from the Finnish town of Rovaniemi, home of Santa Claus.

Jerôme Dubois [stets mit starkem Akzent]: Je m‘appelle Jerôme Dubois. From Marseille. Aus Marseille.

Fynn Pedersen [stets mit leichtem Akzent]: Und ich bin Fynn. Meine Heimat Svendborg ist erst seit kurzem Partnerstadt von Neustrelitz…

Amira Meyer zu Uphöfen: Danke für die Vorstellung. Ich würde mal sagen, wir lassen Sie mal in Ruhe ihren Stammtisch abhalten und spielen stilles Mäuschen. Filmen ist okay, oder? Wir hatten ja im Vorfeld darüber gesprochen… 

[Zustimmende Gesten und Ausrufe und von allen, dann CUT. Die nächste Szene steigt mitten in der Unterhaltung ein.]

Fynn Pedersen: Also, euer Marktplatz, der ist wirklich richtig schön. Der erinnert mich richtig an unsere Hauptstadt København. Dort gibt es auch richtig viele Grünflächen, die richtig gut angenommen werden…

Olga Lewandowski: Sag mal, wie lange ist Svendborg jetzt schon Partnerstadt mit Neustrelitz?

Fynn Pedersen: Seit 2028, wir sind kurz nach Marseille dazugekommen. Als Hafenstadt teilen wir uns mit Neustrelitz die besondere Beziehung zum Wasser – auch wenn der Hafen hier natürlich etwas kleiner ist.

Jason Meier [lacht]: Das machen wir mit unseren Seen aber wieder wett… Aber ja, gemeinsam haben wir auch, dass der Tourismus bei uns und euch untrennbar mit dem Wasser verbunden ist. Und natürlich war eure Hauptstadt Vorreiter in Sachen Schwammstadt.

Fynn Pedersen: Ja, nach dem historischen Wolkenbruch 2011 war klar: So konnte es nicht weitergehen. Und vor kurzem konnten wir auch die Bürger*innen von Svendborg von dem Konzept überzeugen. Es sind also schon drei gemeinsame Nenner, die unsere beiden Kleinstädte miteinander verbindet. Und das fruchtet jetzt richtig!

Jason Meier: Ja! Ich bin sehr glücklich, dass Neustrelitz und Svendborg seit 2030 ein gemeinsames EU-Projekt haben, bei dem wir nachhaltigen Tourismus mit unserer Liebe zum Wasser verbinden.“

Fynn Pedersen: Umdenken, das geht zusammen viel einfacher. Bei allem Zuspruch, den wir für die Idee erhalten haben – die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Schwammstadt sein zu wollen, ist das eine. Der Weg dahin ist aber doch ein langwieriger Prozess.

Olga Lewandowski: Ok, ich muss zugeben, von ‚Schwammstadt‘ höre ich gerade zum ersten Mal. Erzählen Sie bitte mehr! [lacht] Wenn ich mir nämlich unseren Marktplatz anschaue, sehe ich da noch sehr viel… Potenzial.

Jason Meier [kichert wissend]:Ohja…

Fritz Sauter: Ich war noch nie da, wie sieht der denn?

Olga Lewandowski: Naja, unser Nasze Miasto ähnelt dem alten Marktplatz in Neustrelitz eigentlich sehr. Es gibt viel versiegelte Fläche, einen Brunnen in der Mitte und ein paar Bäume drum herum, die eigentlich eher Sträucher sind. Wenn es im Sommer richtig heiß wird, kann man leider nicht lange auf den Sitzbänken rund um den Brunnen sitzen. Es fehlt einfach an Schatten. [wendet sich an Jason Meier] Das habt ihr jetzt wirklich gut gelöst – und so kreativ!

Jason Meier [blickt zu Fynn Pedersen]: Na, wir haben uns einfach ein Beispiel an Kopenhagen genommen und unsere Plätze, Parks und Innenhöfe entsiegelt, neu bepflanzt und zu großen Reservoirs umgebaut. Unser Sportplatz liegt jetzt tiefer und hat Treppenstufen an den Seiten. Das freut nicht nur die Jugend, die den Ort regelmäßig zum Skaten nutzt. Bei Starkregen kann sich hier jetzt nämlich das Wasser sammeln und läuft nicht in die Keller. Das haben wir uns vom Enghave Park in Kopenhagen abgeschaut.

Fynn Pedersen: Wir planen für Svendborg etwas Ähnliches, aber noch ist es Zukunftsmusik… Also, auf die Zukunft! Darauf… Skål!

[Die anderen am Tisch tun es ihm gleich und prosten ihm mit ihrem Wasser zu – in ihren jeweiligen Landessprachen: „À santé!“ (Französisch), „Prost!“ (Deutsch) „Na zdrowie!“ (Polnisch), „Kippis“ (Finnisch)]

Jerôme Dubois: Also euer l´eau, ich muss sagen: Schmeckt formidabel.

Jason Meier: Stimmt schon, aber ehrlich gesagt, da seid ihr in Frankreich echt weiter als hier. Ist mir wirklich aufgefallen, als ich das letzte Mal in Marseille war. Da gibt‘s wirklich zu jedem Essen oder in den Bars Wasser immer gratis dazu. Und man muss gar nicht extra fragen, das kommt einfach so – all-inclusive“.

Jerôme Dubois: Oui, oui. Dabei haben wir in Marseilles nen wirklich krassen Mangel an Wasser und Regen. In den letzten Sommern war es so trocken, da mussten alle städtischen Springbrunnen ausge… abgestellt werden. Comme c’est fou, wie irre! Unsere Stadt liegt am Mittelmeer, und trotzdem ist die ganze Region… sec comme la poussière, staubtrocken. Und im Hochsommer heizt sich die Stadt auf, so stark, dass es nachts überhaupt nicht kühler wird…

Rauni Korhonen: Maybe we can all help each other out with our knowledge? What about a shared project or exhibition showing where each of us stands right now and where we want to go in the future. Nobody has to reinvent the wheel and we can learn from the experiences of the others. Rovaniemi, Neustrelitz, Svendborg, Rovaniemi, Szczecinek, Marseille and Schwäbisch Hall working all together for a better future?

Fritz Sauter: Na, da könnt ihr auf jeden Fall auf mich bauen! Auch wenn wir in Sachen Schwammstadt noch in den Kinderschuhen stecken…

[Zustimmende Wortrufe auch von den anderen.]

Olga Lewandowski: Ja! Wasser muss einfach besser geschützt werden. Das schützt uns Menschen dann letztendlich auch! Toll, dass ihr da mit dieser Schwammstadt und der Water Community…

Jason Meier: Blue Community…

Olga Lewandowski: … mit der Blue Community so aktiv seid, Jason und Fynn. Und dieser Vulkan-Brunnen und die ganzen Wasserrutschen auf dem Marktplatz. Sagenhaft, sowas hab ich wirklich noch nicht gesehen.

Jason Meier: Ja, wenn man Kinder in die Stadtentwicklung einbindet, kommt schon mal etwas Verrücktes raus, auf das Erwachsene niemals gekommen wären. Und jetzt lieben es alle!  

Rauni Korhonen: I like it, too. But what I find even more interesting is your bog project in the Stendlitz meadows. We in Finland have also realised how important bogs are and have even reduced the size of forests so that the bog can re-establish itself. I’m already looking forward to travelling there tomorrow….

Jason Meier: Believe me, das war auch hier nicht leicht, den Menschen beizubringen. Aber Gudrun Daube morgen mehr zu sagen, die besuchen wir morgen auf ihrem Paludikultur-Hof…

[CUT. Die nächste Szene zeigt wieder frontal Reporterin Amira Meyer zu Uphöfen, wie sie im Abendlicht vor dem Tisch steht, an dem die sechs Partnerstadtverstreter weiter intensiv diskutieren.] 

Amira Meyer zu Uphöfen: Aber das ist eine andere Geschichte. Ich bin Amira Meyer zu Uphöfen – und jetzt ist es wirklich an der Zeit Feierabend zu machen. [hält ein Glas Wasser in die Kamera] Prost!


Foto: Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern – Marktplatz (Zeno Ansichtskarten), 1900 – Wikipedia

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